Foto: Susann-Kathrin Schneider
Foto: Susann-Kathrin Schneider

 

 

Das Vollmondtrommelritual

 

Judith und Walter hatten den ganzen Tag fleißig gearbeitet, um die Feuerstelle zu vergrößern. Entstanden ist ein Erdloch, ca. einen halben Meter tief und einen Meter breit, umlegt mit wunderschönen Natursandsteinen, die vermutlich aus dem Bach vor dem Haus stammen. Rund um die wunderschön nach Erde riechende Feuerstelle stehen bereits acht Stühle bereit, am Rand steht ein Gartentisch, auf dem Teebecher und zwei große Chinesische Thermoskannen auf das abendliche Teeritual warten. Es herrscht eine menschliche Stille, die von muhenden Rindern aus der Nachbarschaft und leisem Vogelgezwitscher unterbrochen ist.


Langsam finden sich die Trommelkreisfreunde ein, begrüßen sich mit freundlichen Worten und herzlichen Umarmungen. Menschen, die das erste Mal zum offenen Trommelabend gekommen sind, beobachten schüchtern das bunte und herzhafte Treiben der Begrüßungszeremonien. Einige haben eigen Trommeln dabei, andere dürfen sich eine von Walters fünfzehn selbstgebauten Trommeln aussuchen und für diesen Abend nutzen. Für jeden neuen Gast holen wir noch einen Stuhl und ein Kissen dazu, denn es ist immerhin schon Anfang September und eigentlich nicht selbstverständlich, dass wir abends um 20 Uhr noch zusammen draußen sitzen können. Walter hat ein kleines Lagerfeuer gestapelt und wir sitzen erwartungsvoll im Kreis mit mittlerweile 12 Personen. Wir haben zwar meistens einen überwiegenden Frauenanteil, aber immerhin sind drei Männer dabei. Die Runde wird mit einer Begrüßung von Judith eröffnet, in der sie die weiteren Vorgehensweisen beschreibt und uns zunächst das neue Medizinrad vorstellt. Nach dem „Geister rufen“ und „Räuchern“, wollen wir dort mit einem Heilritual beginnen. Zunächst ruft Walter mit einer Rassel „die Geister“, das heißt er verbindet sich und unser Ritual mit den Energien der vier Himmelsrichtungen, des Himmels und der Erde.


Neugierig schiebt sich der Mond hinter meinem Rücken mit seiner vollständigen Leuchtkraft aus den Wolken, um uns scheinbar zu beobachten. Unsere Aussicht ist atemberaubend. Vor unseren Augen spielt sich ein dramatisches Abendrot mit einem Himmelsszenario aus dunklen Wolken ab, hinter uns geht der Mond auf, über uns fliegen noch ein paar kesse Schwalben und die ersten Fledermäuse. Man könnte meinen, dass sich die Natur an unserem Trommelkreis freut und uns mit allen Sinnen dafür beschenken möchte, dass wir uns mit ihr verbinden. Es riecht wunderbar nach dem prasselnden Feuer, das Walter in der Zwischenzeit entzündet hat. Wir räuchern uns mit einem selbstgebauten Räucherstick aus Beifuß gegenseitig ab, um unseren Körper, unsere Seele und unseren Geist mit Rauch zu reinigen. Die Atmosphäre ist erwartungsfroh und friedlich.


Schließlich gehen wir leise zum Medizinrad und erhalten die Aufgabe, uns einem Stein zuzuwenden, zu dem wir uns hingezogen fühlen. Wenn es uns gelingt, dürfen wir uns diesem Stein mit unserer heutigen Absicht fürs Trommeln oder einer anderen Frage zuwenden. Vielleicht gibt uns der Stein eine Antwort. Judith und Walter trommeln für uns dazu, anschließend wird vorgelesen, welche „Bedeutung“ der Stein in der Medizinradkunde hat. Die Menschen der Trommelgruppe hören aufmerksam zu, fühlen sich teilweise angesprochen und bestätigt. Es sind Menschen unterschiedlichen Alters und aus unterschiedlichen beruflichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen. Zur Trommelgruppe kommen Physiotherapeuten, Lehrer, Psychotherapeuten, Bürokauffrauen, Landschaftsgärtner, Sozialpädagogen, Banker, Architekten, Berufssoldaten, Erzieherinnen und so weiter und so weiter. Eigentlich spielt der Beruf und Status gar keine Rolle, es ist nur manchmal interessant, dass man sich in einem solchen setting zusammen finden kann und vielleicht sonst im Leben nichts zu sagen hätte.


Schließlich beginnen wir die Trommelrunde damit, dass wir erzählen, wie unser Name ist und für was wir heute Trommeln wollen. Manche wollen für Dankbarkeit, Heilung, innere Kraft, eine neue Balance, eigene Gesundheit oder die Gesundheit anderer, Lösungen für Konfliktsituationen, gelingende Prozesse oder die Natur und Mutter Erde trommeln. Es gibt keine Bewertung und man muss nichts sagen. Dann beginnen wir eine Stunde lang gemeinsam zu trommeln. Der Rhythmus hat seine eigene Lebendigkeit und Synchronizität. Jedes Trommeln ist akustisch anders. Mal klingt es leise, dann eher lauter, schneller oder langsamer, hart oder weich, knatternd oder „singend“, manchmal entsteht ein Gefühl, als ob sich ein Klangdom über dem Trommelkreis bilden würde.


Das prasselnde Lagerfeuer ist besonders schön, da man sich entscheiden kann, die Augen immer mal wieder zu öffnen. Eigentlich sollte man die anderen auch nicht beobachten, aber die Umgebung ist so schön, dass man gerne auch ein paar visuelle Eindrücke mit auf seine „mentalen Reisen“ nehmen möchte. So schaut man manchmal in ganz friedliche und entspannte Gesichter und irgendwann gibt es ein indirektes Zeichen, dass das Trommeln zu Ende geht. Manchmal gibt es noch ein paar Nachzügler, die dann noch etwas länger vor sich hin trommeln, die Versunkenheit ist erlaubt und wird respektiert. Zunächst verweilen wir für einen langen Augenblick in stillem Schweigen und Nachfühlen, und dann darf man sich einen Früchtetee holen und allmählich berichten, was man innerlich erlebt hat, welche inneren Eindrücke oder Bilder es gab und wie es einem jetzt geht.


Der Abschluss wird mit einem gemeinsamen Lied und allgemeinen herzlichen Umarmungen, freundlichen Worten und Gesten und gemeinschaftlichem Aufräumen zelebriert. An diesem Trommelabend war das Besondere die Beigabe der Natur. Mit allen Sinnen hat sie sich liebevoll präsentiert und ist mit uns in Kontakt getreten. Da war der Wind, der so manchmal von der Seite angepfiffen kam, die Sonne hat sich mit einer angenehmen Nachwärme und einem herrlichen Abendrot verabschiedet, das Wasser hat sich als beginnende Nachtfeuchtigkeit leise an unsere Bekleidung und Trommeln angepirscht, die Erde hat wohlwollend warm geduftet, die Pflanzen haben uns mit den köstlichen Äpfeln vom garteneigenen Apfelbaum beschenkt und sich in unserem Früchtetee zur Verfügung gestellt, die Tiere haben als Vögel, Fledermäuse und Kühe gegrüßt, die Mineralien haben sich im Medizinrad gezeigt, und der Mond hat uns eine ganze Zeit lang hell erleuchtend beobachtet. Wenn es überall auf der Erde solche Trommelfeuer gäbe, wäre die Erde in einem viel besseren Gleichgewicht und der Mensch könnte sein Überleben auf der Erde neu gestalten.

Heike C.

"Die Menschen suchen nicht nach dem Sinn des Lebens, sondern nach dem Gefühl, lebendig zu sein" (Joseph Campbell)

Alle Dinge, die uns materiell entgegentreten, sind nur die äußere Hülle von geistigen Wesenheiten.

(Rudolf Steiner)

Geduld zu haben bedeutet, der Schöpfung zu vertrauen. (Huna)

Da Du schon alles weißt,

mag ich nicht beten –

tief atme ich ein,

lang atme ich aus,

und siehe:

Du lächelst.

H. Heim